“Die wirksamste Maßnahme zur Reduktion des Verletzungsrisikos bei Reitunfällen ist das Tragen von Schutzkleidung. Eine effektive Schutzkleidung besteht aus einem Reithelm, einer Reitschutzweste, einer Reithose, Reitstiefeln sowie Reithandschuhen.”
(Risikosport Reiten – eine kritische Darstellung der Sicherheitsstandards im Reitsport. Georg Thieme Verlag KG)
Sicherheit im Alltag: Rennsport vs. Reitsport
Im Rennstall Recke werden diverse Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von Mensch und Tier eingehalten: “Das fängt bei der Reitausrüstung mit den genormten Helmen an”, so der Trainer. “Eine Sicherheitsweste ist bei uns berufsgenossenschaftlich Pflicht, ohne kommt man bei uns nicht aufs Pferd.” Die Reiter sind ferner angehalten ihr Zaumzeug und Sattelzeug regelmäßig auf Schäden zu überprüfen. Wenn etwas kaputt geht, wie Zügel oder Steigbügelriemen, bekommt der Angestellt ein neues Set vom Trainer.
Und im Reitsport? Bei der telefonischen Umfrage einer Reitsportzeitschrift gaben 87 von 104 meist weiblichen Befragten an, dass sie nicht einmal einen Helm tragen. Als Grund wurde in erster Linie und erschreckend freimütig Eitelkeit angegeben.
Auf der Suche nach einem guten Kopfschutz
Der letzte Reithelm-Test der Stiftung Warentest war 2005, das Magazin Cavallo ging 2013 mit einigen Helmen ins Labor und danach finden sich nur noch wenige Reithelm-Tests auf Websiten, deren Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit sich auch bei genauem Hinsehen nicht wirklich nachvollziehen lassen.
Wer allein die Herstellerangaben vergleichen möchte, kann ggf. auf dem TÜV-geprüften Vergleichsportal fündig werden – hier stehen Modelle, Normen und Preise übersichtlich nebeneinander. Parameter wie “Farbauswahl” oder “brillenträgertauglich” sind sicherlich für manche Reiter kaufentscheidend; wer etwas sportlicher unterwegs ist, würde sich an der Stelle einen Vergleich der Schutzfunktion wünschen. Doch will man das wirklich wissen? Ein Beispiel: Selbst Stiftung Warentest hat nur einen Fall aus 1,5 Metern Höhe simuliert. Auf einem großen Pferd oder gerade nach einem (Bock)Sprung fällt mal allzu leicht mal deutlich tiefer. Auch eine Seitenbelastung von 60 Kilo ist schnell erreicht, wenn einem ein Pferd gegen den Kopf tritt oder man schwungvoll im Sprung landet.
Bei Reithelmen legt eine Europanorm die Mindestanforderungen fest, die „Schutzhelme für reiterliche Aktivitäten“ – so die offizielle Bezeichnung – erfüllen müssen. Die amtierende EU-Norm lautet EN 1384:2012.Aber Vorsicht: Diese wurde 2014 abgeschafft, allerdings keine neue verabschiedet. Helme, die vor dem 15.12.2014 produziert wurden, dürfen noch weiterhin verkauft werden (Produktionsdatum steht innen im Helm). Zurzeit gilt eine Übergangsnorm (VG1 01.040 2014-12), neue Reithelme werden aber meist noch entsprechend der (abgeschafften!) EN 1384 geprüft. Die englische Norm PAS015 (KITE MARK) Norm wird vorwiegend von Charles Owen, doch inzwischen auch von einigen Herstellern angeboten. Hier werden regelmäßig Helme aus der laufenden Produktion überprüft.
Oberkörperschutz: Ein Gespräch mit Experten
Stefan Schwanbeck ist Geschäftsführer des vielfachen Schutzwesten-Testsiegers und Airbag-Herstellers USG United Sportsproducts Germany GmbH:
Schwanbeck: Im Reitsport gibt es derzeit für den Oberkörperschutz nur eine EU Norm: die EN 13158. Da aber seit einigen Jahren die Rückenprotektoren und Airbags immer beliebter werden (weil komfortabler), kommen diese Produkte teils mit Motorradzertifizierung und teils ganz ohne Zertifizierung zum Einsatz. Der Rückenprotektor mit Motorradnorm schützt nur den Rücken und der Airbag nur, wenn er ausgelöst wird.
Da wir mit Pferden zu tun haben, sind dieses Produkte meistens nicht ausreichend und schützen nicht optimal. Ein Rückenprotektor kann allenfalls ein Reitanfänger tragen dem eine Sicherheitsweste zu dick unter den Armen erscheint. Wenn es um Springen, Ausreiten und mehr geht, sollte immer einen Sicherheitsweste getragen werden. Der Airbag ist ein Zusatzschutz zu den beiden ersten Varianten. Die Level einer Sturzweste sagen etwas über den Energiewert aus, der im Falle eines Sturzes geschluckt werden soll. Level drei ist der höchste mögliche Wert und schützt also 30% besser, als Level 2.
Woraus sollte ein Kunde beim Kauf einer Sturzweste unbedingt achten?
Schwanbeck: Die Reitnorm EN 13158 wurde in unserem EU Gremium (bei dem ich Mitarbeiter bin und Sprecher der Deutschsprachigen Länder D/A/CH) neu harmonisiert. Seit 2018 gilt sie nun. Kunden sollten beim Kauf einer neuen Weste auf die Kennzeichnung EN 13158-2018 achten. Wenn man Rückenprotektoren oder Airbags kaufen möchte, gelten die Normen EN 1621-2 bei Protektoren und EN 16214 bei Airbags. Derzeit arbeiten wir in unserem EU Gremium daran, die Protektoren und Airbags auch für den Reitsport zu legitimieren. Dann gibt es nur noch eine gemeinsame Norm für den Oberkörperschutz.
Welche Wirkung haben die unterschiedlichen Airbag-Formen (rundum vs. “Surfbrett”)?
Schwanbeck: Zunächst ist unsere Philosophie so, dass wir die Wirbelsäule mit den wichtigsten Nervenführungen mit einem Airbag dahinter schützen wollen. Das ist z.b. bei Huftritten extrem wichtig. Das „Surfbrett“ sieht nur deshalb so aus, weil wir einen hohen Schutz zur Halswirbelüberstreckung wollen. Ein zu kurzer Airbag hilft hier nicht. Natürlich haben wir auch „Voll“ Airbags mit rundum Schutz jedoch ist es sinnvoller, mit einer Sicherheitsweste einen rundum Oberkörperschutz zu haben und mit dem Airbag den Zusatzschutz zu besitzen. Dann hat man eine optimale Flexibilität beim Sturz/ Abrollen.
Weitere relevante Faktoren für mehr Sicherheit
Dass gute Reitstiefel den Knöchel stabilisieren und das Bein zum Beispiel bei einem Tritt schützen (bei meiner ersten Fuchsjagd in England wurde ich aus diesem Grund gar persönlich zum Master zitiert und wegen der Chaps gerügt), ist glaube ich selbstverständlich. Ebenso, dass eine griffige Reithose im Reitsport das Sturzrisiko verringert. Rennreiter haben bei schneller Arbeit mit kurzem Bügeln ja keinen Kontakt zwischen Wade und Sattel. Dort werden oftmals Jeans getragen.
Auch dass gute Reithandschuhe nicht nur vor konkreten Verletzungen schützen (wenn einem beispielsweise das Pferd beim Longieren oder Verladen den Strick durch die Hand zieht) und Abnutzungen vermeiden (wenn man z.B. viele, pullende Pferde reitet), sowie bei einem vor Regen oder Schweiß nassen Zügel auch die Rutschgefahr verringern.
Ergänzend zur Schutzkleidung des Reiters kommen noch zwei unscheinbare Begleiter ins Spiel, die in der oben zitierten Analyse des Thieme Verlags mehr als einmal zum Tod eines Reiters geführt haben: Die Steigbügel. Hierzu sprach ich mit Deike Bräutigam vom deutschen Traditionsunternehmen Sprenger:
Beim Sturz im Steigbügel hängen bleiben: Eine Horrorvorstellung für jeden Reiter. Welche Möglichkeiten hat man bei Auswahl und Pflege des Equipments, dies zu verhindern?
Deike Bräutigam: Es gibt zahlreiche Steigbügelmodelle, die mit verschiedenen Ansätzen versuchen, die Sicherheit des Reiters zu erhöhen und die Freigabe des Fußes im Notfall zu gewährleisten. Grundsätzlich lässt sich dazu sagen, dass keines der erhältlichen Modelle eine einhundertprozentige Sicherheit bietet. Je nach Verlauf eines Sturzes können Reiter sogar in offenen oder sich öffnenden Steigbügeln hängen bleiben.
Was macht einen guten Steigbügel aus?
Deike Bräutigam: Man sollte sich zunächst vor Augen führen, dass Steigbügel in den einzelnen Disziplinen Kräfte von einem Drei- bis Vierfachen des Körpergewichtes aushalten müssen – und das in täglichem Gebrauch bei unterschiedlichsten, zum Teil widrigen Witterungsbedingungen. Empfehlenswert ist es, Steigbügel aus rostfreiem Material mit einer Bruchlast von mindestens 800 kg zu kaufen.
Neben den normalen Standard-Steigbügeln gibt es verschiedene Steigbügelsysteme mit einer zusätzlichen Sicherheitsfunktion. Wie zum Beispiel Steigbügel mit Öffnungsmechanismus, Steigbügel mit seitlichen Öffnungen oder Gelenksteigbügel. Obwohl es bei keinem Steigbügel eine 100prozentige Garantie gibt, ist die Verwendung von Sicherheitssteigbügeln im Falle eines Falles unbedingt empfehlenswert.
Nicht zuletzt sollte man bei der Auswahl eines Steigbügels auch die Sicherheit seines Pferdes beachten. Je nachdem wie ein Sturz verläuft, ist es nicht auszuschließen, dass ein sich öffnender oder brechender Steigbügel auch Verletzungen am Pferd verursachen kann. Daher setzt Sprenger in Sachen Sicherheit in erster Linie auf Gelenksteigbügel, die durch ihre Flexibilität die Freigabe des Fußes aus dem Bügel erleichtern können. Gleichzeitig sind sie komfortabel, gelenkschonend und mit einer Bruchlast von über 1.500 kg extrem belastbar.